Mehr Kapitaldeckung wagen!

Von 

Prof. Christian Hagist / Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik

12.8.2021

Es ist unbestritten, dass der demografische Wandel die deutsche Sozialversicherung im Allgemeinen und die gesetzliche Rentenversicherung im Speziellen vor gewaltige Finanzierungsherausforderungen setzen wird. Während heute etwa drei potenzielle Erwerbstätige einen potenziellen Rentner finanzieren, wird dieses Verhältnis im Jahr 2050 bei ca. zwei zu eins liegen. Ein solch komplexes Problem erfordert eine angemessene Antwort. Ein Teil dieser Antwort sollte lauten: „Mehr Kapitaldeckung wagen!“ Das soll nicht heißen, dass das Prinzip des umlagefinanzierten Generationenvertrags, also heute Junge zahlen für heute Alte, damit morgen zukünftige Junge für sie die Rente erwirtschaften, abgeschafft werden soll. Aber es muss bei der vorliegenden Alterung der Bevölkerung ergänzt werden – finanztechnisch gesprochen diversifiziert, einfach gesagt: Wir legen bei der Altersvorsorge nicht alle Eier in einen Korb!

Die gesetzliche Aktienrente ist hier genau die richtige Antwort, denn sie löst das Dogma auf, dass Kapitaldeckung immer privat-wirtschaftlich organisiert sein muss. Breit gestreut, individuell nachvollziehbar und mit einem langen Horizont werden so alle Vorteile der Kapitaldeckung für die Altersvorsorge mit vertretbaren Risiken genutzt – und dies zu geringen Kosten. So würde zum ersten Mal die breite Masse der deutschen Bevölkerung an den Chancen des Kapitalmarkts partizipieren – international gestreut und mit geringem politischem Einfluss. In einer globalisierten Welt sollten auch deutsche ArbeitnehmerInnen weltweit an der Entwicklung beteiligt sein – und somit auch zur Erhaltung des Generationenvertrags Rente beitragen.

Auch der Zukunftsfonds setzt bei der Idee an, dass ArbeitnehmerInnen an den Gewinnen von Unternehmungen beteiligt werden sollen.  Gerade in unserer Zeit des Umbruchs ist es eine hervorragende Idee, große Teile der Bevölkerung speziell an Unternehmen, die wahrscheinlich ihre Erträge vermehrt mit Algorithmen und Robotern machen, zu beteiligen. Kollege Roboter nimmt eben keinen Arbeitsplatz weg, sondern wirtschaftet somit eben auch für die Alterssicherung. Welch Gedanke, dass Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook von Anfang an nicht nur ein paar Entrepreneurs und Investoren reich machen, sondern auch Millionen Versicherter unterstützen. Natürlich geht das nur mit mehr Risiko – aber der Tanker gesetzliche Rentenversicherung kann es sich leisten. Besser wir nehmen das Geld, was in guten Zeiten von den Beitragszahlern zurückgelegt wurde und legen es für morgen an, als es heute für großzügige Wahlversprechen auszugeben. Denn auf dem Tagesgeldkonto der Rentenversicherung schlummern derzeit über 30 Mrd. Euro – natürlich mit negativen Zinsen. Hier die Mindestreserve zu erhöhen und gleichzeitig das Geld für die deutsche Volkswirtschaft und die Alterssicherung zu investieren, ist der richtige Weg. Wie bei der gesetzlichen Aktienrente würde uns hier ein Hauch skandinavischer Pragmatismus gut anstehen.

Kapitaldeckung muss auch nicht unsozial sein. Das Altersarmutsproblem können wir ebenso damit adressieren, denn zum einen ist eine höhere Rendite insbesondere für die Versicherten wichtig, welche wenig in die Versorgungssysteme einzahlen. Zum anderen könnte auch direkt ein sozialer Ausgleich eingebaut werden, der das intergenerative Problem – morgige Beitragszahler zahlen für heute bereits angelegte Altersmut – in eine intragenerative Umverteilung überführt. Heutige starke Schultern zahlen für schwächere, damit unsere Kinder dies nicht tun müssen. Wachstumschancen nutzen und solidarisch sein – eine Definition sozialer Marktwirtschaft.

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